Es war einmal eine Farbe. Sie lebte in einem kleinen Haus am
Rande eines kleinen Dorfes mit einem Spielplatz, einem Einkaufsladen, einer
Schule und vielen anderen Häusern, in denen viele grosse und kleine Leute
wohnten.
Diese Farbe war so besonders, wie eben alle Farben sind. Sie hatte ihre ganz eigenen Nuancen, und wenn sie in der Sonne lag, wirkte sie heller als wenn sie im Schatten stand. Sie war wie alle Farben mal wild, mal zahm. Mal laut, mal leise. Und manchmal richtig schüchtern. Aber manchmal auch ganz mutig.
Die Farbe war meistens fröhlich. Denn sie hatte grossen Spass
daran, Dinge zu verschönern und stürzte sich mit Begeisterung auf alles
Farblose. Es machte sie überaus glücklich, die Gesichter der Menschen zu sehen,
wenn diese entdeckten, wie sich die Gegenstände durch
die Farbe veränderten.
Eines Tages ging die Farbe an ihren Lieblingsort, den
Spielplatz, und setzte sich neben ein kleines, blondgelocktes Mädchen, das im
Sand spielte. Eine Weile schaute sie dem Kind interessiert zu, bis ihr auffiel,
dass das Sandförmchen, welches das Mädchen in den Fingern hielt, farblos war.
Voller Freude stürzte sich die Farbe darauf, um das Förmchen zu verschönern und
schaute dann erwartungsvoll in das Gesicht des Mädchens.
Das kleine Mädchen
lächelte zuerst, dann legte es seine Stirn in Falten. „Du bist blau!“ sagte es
mit einem vorwurfsvollen Unterton. „Ja, das bin ich, gefällt dir das?“ Das
Mädchen schwieg eine Weile.
„Ja“, sagte es daraufhin, „aber du bist keine Farbe für
mich. Meine Mama sagt, Blau ist eine Farbe für Jungs!“
Davon hatte die Farbe wirklich noch nie etwas gehört. Eine
Farbe konnte doch nicht nur für Jungs sein. Farben waren doch für alle da! Eben
wollte sie dem kleinen Mädchen diese Tatsache erklären, als die Mutter des
Kindes auftauchte. „Ramona, wo steckst du? Ach – hier. Im Sand? Schau nur wie
schmutzig du bist! Schau, was aus deinem hübschen rosafarbenen Kleidchen
geworden ist! Alles ist voller Dreck. Du bist doch ein Mädchen und du solltest
auf deine Kleider besser aufpassen!“ Das kleine Mädchen schaute betroffen auf
sein wirklich arg mitgenommenes Kleidchen. Dann nahm es das blaue Förmchen in
die Hand und zeigte es der Mutter: „Schau mal, was ich gefunden habe, ist das
nicht hübsch?“ „Ein blaues Förmchen? Ich wüsste nicht was daran hübsch sein
sollte. Blau ist doch keine Farbe für ein Mädchen“, antwortete die Mutter und
zog das Kind auf die Füsse. Ramona folgte ihrer Mutter mit hängenden Schultern
weg vom Sandkasten auf dem Spielplatz und setzte sich brav neben sie auf die
Bank.
Die Farbe schaute ihnen verständnislos nach. Betroffen sah
sie, wie traurig das Kind aussah. „Habe ich Ramona traurig gemacht? Weil ich
die falsche Farbe für ein Mädchen bin?“ fragte sie sich. Bedrückt und
nachdenklich ging sie nach Hause.
In den nächsten Tagen rannte die Farbe nicht mehr voller
Begeisterung auf alles Farblose zu, wie bisher. Sie überlegte sich sehr viel
länger, ob sie zu diesem Gegenstand denn auch passe, bevor sie etwas zu
verschönern versuchte.
Als sie eines Tages eine Frau mit einem farblosen
Kinderwagen sah, konnte sie jedoch nicht an sich halten. „So ein Kinderwagen
muss doch eine Farbe haben“, sagte sie sich, und hüpfte los. Gleich breitete
sie einen grossen Klecks von sich über den hübschen Wagen, und schaute erwartungsvoll
auf das Gesicht der jungen Frau. Sie wusste: Kinderwagen sahen immer ganz
besonders schön aus, wenn sie sie in all ihren Schattierungen verzierte. Schon
manche Familie war danach sehr stolz mit ihrem Wagen weiterspaziert.
Aber diese Frau hier schaute gar nicht begeistert drein. „Du bist blau! Das passt nicht zu meinem Kinderwagen. Das Baby da drin ist ein Mädchen!“ sagte sie und verscheuchte die Farbe.
Aber diese Frau hier schaute gar nicht begeistert drein. „Du bist blau! Das passt nicht zu meinem Kinderwagen. Das Baby da drin ist ein Mädchen!“ sagte sie und verscheuchte die Farbe.
Verdattert trat die Farbe ein paar
Schritte zurück und schaute der Frau mit ihrem Kinderwagen nach. Was war nur
mit den Leuten los? Wer hatte denn bestimmt, dass Blau keine Farbe für Mädchen
sein solle?
Die Farbe schlenderte gedankenverloren weiter. Sie mied den
Spielplatz und schlich langsam zum Schulhaus. Auf dem Schulhof tummelten sich
viele Kinder. Die Farbe schaute ihnen eine Weile beim Spielen zu. Plötzlich
hörte sie lautes Lachen und sah, wie ein kleiner Junge von ein paar anderen Kindern
umringt war und unglücklich zu Boden schaute. „Rosa? Ist das dein Ernst?“
lachten sie. „Du trägst ein rosafarbenes Shirt? Bist du denn ein Mädchen, Tom?“
Der kleine Junge begann zu weinen. Leise sagte er: „Mir gefällt Rosa!“ Aber
keines der anderen Kinder hörte ihm zu. „Heulsuse!“ riefen sie. „Du bist
wirklich ein Mädchen, wenn du wegen dieser Kleinigkeit zu Heulen beginnst!“
Da konnte die Farbe nicht mehr an sich halten. Leise schlich sie sich zu Tom und berührte seinen Arm. Der Junge schaute auf. Er sah in die grossen Augen der blauen Farbe und hörte sie fragen: „soll ich dein Shirt verschönern?“ Der Junge schaute an sich herab. „Mir gefällt Rosa“, sagte er nochmals, „aber ich werde dafür ausgelacht. Also tu es.“ Sofort breitete die Farbe einen grossen Klecks von sich auf dem Shirt des Jungen aus. Die anderen Kinder hörten auf zu lachen. „Besser so!“ sagten sie, und gingen wieder ihren Spielen nach.
Da konnte die Farbe nicht mehr an sich halten. Leise schlich sie sich zu Tom und berührte seinen Arm. Der Junge schaute auf. Er sah in die grossen Augen der blauen Farbe und hörte sie fragen: „soll ich dein Shirt verschönern?“ Der Junge schaute an sich herab. „Mir gefällt Rosa“, sagte er nochmals, „aber ich werde dafür ausgelacht. Also tu es.“ Sofort breitete die Farbe einen grossen Klecks von sich auf dem Shirt des Jungen aus. Die anderen Kinder hörten auf zu lachen. „Besser so!“ sagten sie, und gingen wieder ihren Spielen nach.
In der nächsten Zeit begleitete die Farbe den kleinen Tom
zur Schule und spielte auch zu Hause mit ihm. Es war schön, mit Tom zusammen zu
sein, aber auch ein bisschen langweilig. Tom wollte, dass die Farbe alle seine
Sachen verschönerte. Denn nur so, erklärte er der Farbe, werde er nicht mehr
ausgelacht. Aber ein blaues Kinderzimmer und so viele blaue Spielsachen, das
schien der Farbe doch etwas übertrieben. „Warum willst du deinen Ball auch blau
haben? Es wäre doch viel schöner, der Ball bliebe rot!“ meinte die Farbe. „Kein
Junge spielt mit einem roten Ball!“ gab Tom traurig zurück.
Wegen der Farbe seiner Kleider und Gegenstände wurde Tom in
der Schule tatsächlich nicht mehr ausgelacht. Aber es gab andere Gründe, um ihn
zu hänseln. Er war zum Beispiel sehr schüchtern. Er hatte Angst vor Spinnen.
Und er las gerne Bücher und liebte es, lange im Gras zu liegen und vor sich hin
zu träumen, statt wilde, laute Spiele zu machen. „Er ist fast ein bisschen wie
ein Mädchen!“ sagte seine Mutter manchmal kopfschüttelnd.
Tom und die Farbe
bemühten sich von nun an nach Kräften, so zu werden, wie die Leute es wollten.
„Sei nicht immer so ernst!“ sagte die Tante zu Tom. Da
versuchte Tom, mehr zu lachen.
„Ein Junge hat doch keine Angst vor Spinnen!“ sagte der
Vater von Tom. Da versuchte Tom, keine Angst mehr vor Spinnen zu haben und sie
anzufassen, obwohl es ihn schauderte.
Je mehr Tom sich nach dem richtete, was seine Eltern,
Schulfreunde und andere Leute sagten, desto weniger wurde er kritisiert und
ausgelacht.
Der Farbe erging es ähnlich.
„Eine Haarschleife sollte nicht blau sein, sondern Pink!“ sagte die Verkäuferin zu ihr, als die Farbe sich vor einer kleinen Auslage mit Haarschmuck nach farblosen Gegenständen umsah. Da versuchte die Farbe, Haarschleifen zu meiden.
„Eine Haarschleife sollte nicht blau sein, sondern Pink!“ sagte die Verkäuferin zu ihr, als die Farbe sich vor einer kleinen Auslage mit Haarschmuck nach farblosen Gegenständen umsah. Da versuchte die Farbe, Haarschleifen zu meiden.
Und je mehr sie sich
daran hielt, die hübschen Dinge kleiner Mädchen nicht mit einem Farbklecks zu
verschönern, desto seltener geschah es ihr, dass sie verscheucht wurde.
Eines Tages sassen Tom und die Farbe lustlos auf einer Bank.
Tom liess seine Beine baumeln und schaute trüb vor sich hin. Er drehte sein
Taschenmesser in den Händen, welches er von seinem Onkel zum Geburtstag bekommen
hatte. „Echte Jungs haben sowas!“ hatte der gesagt. Die Farbe bemerkte, dass
das Taschenmesser farblos war, und stupste Tom an. „Soll ich?“ fragte sie, und
deutete auf das Messer. „Nein“, sagte Tom. Verständnislos sah die Farbe ihn an.
„Warum? Wäre das Messer nicht viel cooler in Blau?“ Der Junge blickte düster
drein. „Vermutlich“, sagte er, „aber schau dich doch mal an. Du bist ja nicht
mehr blau!“ Erschrocken sah die Farbe an sich herunter, und erkannte voller
Entsetzen: Tom hatte recht. Sie war nicht mehr blau. Sie war farblos geworden
und hatte das noch nicht einmal bemerkt!
Da rannte die Farbe davon. Zu Hause stürzte sie sich in ihr
Zimmer, warf sich aufs Bett und weinte und schluchzte. „Aber, aber!“ sagte eine
sachte Stimme zu ihr. „Was ist dir denn geschehen? Hast du dir wehgetan? Du
bist ja ganz blass!“ Die Farbe sah auf. Es war der kleine süsse blaue Teddybär,
der mit ihr sprach. Sie hatte ihn kürzlich neben der Schaukel auf dem
Spielplatz gefunden. Er war ganz farblos gewesen vor lauter Traurigkeit, weil
er vergessen worden war. Die Farbe hatte ihn eingefärbt und nach Hause genommen.
Jetzt zog sie ihn an sich und vergrub ihr Gesicht in seinem kuscheligen blauen
Fell. „Ich habe meine Farbe verloren! Ich bin nicht mehr blau!“ rief die Farbe
verzweifelt. Dann klagte sie dem kleinen Teddy-Freund ihr ganzes Leid.
„Du meine Güte“, murmelte der Bär leise und strich der Farbe
über die tränennasse Stirn. „Du meine Güte, wie traurig!“ Die Farbe weinte
leise weiter, während der Bär sie ununterbrochen streichelte.
Lange sassen die beiden so auf dem Bett. Dann rieb sich die
Farbe die letzten Tränen aus den Augen und schaute den Bären an. „Was soll ich
jetzt bloss tun?“ Der Bär lächelte. „Du solltest dich nicht mehr darum kümmern,
es allen Leuten recht zu machen. Blau ist eine wundervolle Farbe und sie ist
doch für alle da! Teddybären sind normalerweise braun, nicht blau. Das habe ich
dir damals verschwiegen, als du mich gefunden hattest. Ich liebe mein blaues
Fell. Deswegen wollte ich es dir nicht sagen.“ Wehmütig lächelte die Farbe. „Aber
ich habe meine Farbe doch verloren!“ „Nein“, entgegnete der Bär. „Schau dich
an. Sie war nur verblasst. Aber deine Tränen haben alle Blässe weggewaschen. Du
bist jetzt wieder blau!“ Erstaunt stellte sich die Farbe vor den Spiegel. Es stimmte.
Sie war wieder vollkommen blau. Schon wieder liefen ihr ein paar Tränen über
die blauen Wangen, und hinterliessen dort eine Spur von noch tieferer blauer
Farbe, aber diesmal waren es Freudentränen. „Ich bin so froh, dass ich meine
Farbe wiedergefunden habe!“ sagte sie. „Und ich hoffe, dass Tom auch so einen
schlauen Bären hat wie ich!“
Am nächsten Morgen trat die Farbe wieder aus dem Haus. Ein
bisschen mulmig war ihr schon zu mute, als sie in Richtung Spielplatz
spazierte. Schüchtern setzte sie sich neben ein Mädchen mit Sommersprossen im
Gesicht und lächelte es an. Das Mädchen grinste zurück. „Komm her, hier ist was
für dich!“ sagte es und deutete auf seinen Kopf. Die Farbe sah den farblosen
Sonnenhut, der ihr braunes Haar bedeckte, und liess sich die Aufforderung nicht
zweimal sagen. Begeistert breitete sie einen grossen Klecks von sich auf dem
Hut aus.
„Mathilda!“ rief da eine tiefe Stimme. Erschrocken sah die
Farbe, dass ein Mann auf das Mädchen zutrat. „Wir sollten gehen! Ach was ist
denn mit deinem Hut passiert? Der ist ja blau! Das passt ganz wundervoll zu deinen Augen!“ rief
der Mann. „Nicht wahr, Papa?“ sagte Mathilda und gab ihm die Hand. Die Farbe
schaute voller Überraschung zu diesem Mann und er zwinkerte ihr zu. Dann
öffnete er seine dunkelbraune Jacke und die Farbe sah voller Staunen, dass die
Farbe Rosa von seinem Shirt heruntergrinste und frech die Zunge rausstreckte.
Der Mann schüttelte den Kopf und lachte, bevor er die Jacke ganz auszog weil es
eigentlich zu warm dafür war. „Ich hätte nicht gedacht, dass Rosa so frech sein
kann. Sie wird eigentlich für eine stille, schüchterne und zurückhaltende Farbe
gehalten. Aber das stimmt gar nicht.“
Nein, das stimmt nicht, wusste die Farbe Blau. Denn Farben
waren wie Kinder: Mal mutig, mal schüchtern. Mal wild, mal zahm. Mal leise, mal
laut. Und jedes Kind und jede Farbe durfte selbst entscheiden, wie es oder sie
sein wollte.
Mit einem frohen Lächeln im Gesicht verliess die Farbe Blau
Mathilda und ihren Vater, aber nicht, ohne der Farbe Rosa auch noch rasch frech
die Zunge herauszustrecken. Mathildas
blauer Sonnenhut leuchtete in der hellen Sonne und das frohe Kindergelächter
klang noch in ihren Ohren, als die Farbe zum Schulhof kam. Suchend sah sie sich
unter den vielen Kindern um. Und dann entdeckte sie ihn: Tom sass, ganz in ein
Buch vertieft, zufrieden lächelnd auf einer Bank. Er trug ein rosafarbenes
Shirt. „Er hat auch einen klugen Teddybären“, dachte die Farbe glücklich und schlug
den Weg zum Einkaufsladen ein. Bestimmt lagen da noch ein paar farblose
Haarschleifen.
Copyright by Tragebaby GmbH, Maria Lüscher, 2018
.... Das war die Geschichte der Farbe. Und auch die Geschichte der beiden LueMai, die morgen im Shop zu finden sein werden! Zwei LueMai für Jungs oder Mädchen, Männer oder Frauen... denn alle Farben gehören allen!
wunderbar <3
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